Wenn Manuela Dolf, Mirjam Bank und Margaret Reinhardt durch die Kaarster Innenstadt spazieren, kommt es regelmäßig zu lebensgefährlichen Situationen. Die drei Frauen haben eines gemeinsam: Sie sind blind oder stark im Sehen eingeschränkt. Und ihre Heimatstadt ist alles andere als darauf vorbereitet. "Das muss sich unbedingt ändern", finden die Frauen. Jetzt wird auch die Politik aktiv.
"In diesem Fall sind die Sehenden die wahren Blinden", wundert sich Dolf, bei der sich die Krankheit Retinitis pigmentosa schleichend entwickelte. Seit rund zehn Jahren erkennt die dreifache Mutter kaum etwas, ist auf den Blindenstock angewiesen. Doch der hilft ihr und anderen Betroffenen in Kaarst kaum, denn ein Blindenleitsystem – das sind die kleinen Erhebungen auf dem Asphalt – ist nicht vorhanden. Wenn sie ihren Ausweis im Rathaus verlängern muss, ist das der pure Stress. Wo endet der Bordstein? Wann ist die Ampel grün? Wo befindet sich der Eingang zum Rathaus? All das können Blinde in Kaarst bestenfalls erahnen. "Mir fällt manchmal erst nach einiger Zeit auf, dass ich auf der Straße laufe und nicht auf dem Bürgersteig", so Dolf. Und so kam es schon häufiger um ein Haar zu Verkehrsunfällen.
Dabei gibt es in Kaarst genug Menschen, die auf entsprechende Kennzeichnungen angewiesen sind. "Wir allein kennen in Kaarst rund 20 Menschen, die betroffen sind. Dazu dürfte es eine hohe Dunkelziffer geben. Sehschwäche tritt vor allem im Alter auf und Senioren trauen sich oft nicht, ihr Problem publik zu machen. Die Konsequenz ist eine Isolation von der Gesellschaft", warnt Bank, die mit 31 Jahren von einem Tag auf den anderen erblindete – Diagnose Grüner Star. Kennengelernt hat sie Dolf per Zufall im Bus, als deren gesunder Sohn sie auf die ebenfalls blinde Frau aufmerksam machte. Vor etwa einem halben Jahr beschlossen die Frauen, eine Initiative für Kaarster Sehbehinderte auf den Weg zu bringen.
Unterstützt werden sie von Margaret Reinhardt, Vorsitzende des Bundes zur Förderung Sehbehinderter (BFS). Sie selbst leidet seit ihrer Geburt an Sehschwäche. Sehr geholfen hat den Frauen bei ihrem Vorhabe nauch der Verein Pro Retina . Innerhalb weniger Tage schrieb der neue Zusammenschluss alle Parteien, Stadtverwaltung und Co. an. Die erste Reaktion war ernüchternd, machte jedoch auch Hoffnung. "Viele waren überrascht, dass es uns überhaupt gibt. Die Politiker gaben ehrlich zu, dass sie uns schlichtweg übersehen hatten, gelobten aber auch gleichzeitig Besserung", so Dolf. In der Zwischenzeit brachte die SPD einen Antrag raus, der auf genau dieses Problemfeld abzielt. "Es fehlen an den entscheidenden Stellen, wie etwa an den Haltestellen, Hinweise für Blinde, sogenannte taktile Leitsysteme, die es den Menschen ermöglichen, sich zu orientieren", sagt Sabine Kühl, baupolitische Sprecherin der SPD.
"Wenn wir wollen, dass die sehbehinderten und blinden Menschen in Kaarst am öffentlichen Leben ohne fremde Hilfe teilnehmen können, dann müssen wir etwas tun", fordert Fraktions- und Sozialausschussvorsitzende Anneli Palmen. Daher hat die SPD für den nächsten Bauausschuss am 20. Juni den Antrag gestellt, Maßnahmen zu ergreifen. Es gebe die Möglichkeit, Orientierungspunkte nachträglich aufzubringen.
Für Dolf, Bank und Reinhardt schon ein großer Erfolg, aber auch nur ein erster Schritt. Sie suchen für ihre Gruppe "Kaarster-Blind-Gänger" weitere Betroffene, die Bewegung in die Sache bringen wollen. Interessierte wenden sich an Manuela Dolf, Tel. 02131/ 66 77 08, E-Mail:
20. April 2017 — Kaarster Stadtspiegel von Violetta Buciak